Ein Reisebericht von Sonja Sophia Schröter & Mattes Buchholz

„Willst Du wirklich vier Fleecedecken einpacken?“ fragte mich Mattes. So begannen unsere Reisevorbereitungen im Oktober 2022. Von mir aus hätten es auch 6 Fleecedecken sein können, aber man will ja nicht übertreiben… Außerdem hatte ich ja für die kalten Nächte schon meinen FleeceSchlafanzug und meine Stricksocken eingepackt und – na ja für alle Notfälle, – auch eine Wärmflasche dabei.

Wer schon einmal bei 7 °C im April vor Athen gesegelt ist, wo an Bord die Bettdecke traditionell aus einem leichten Laken besteht und es Ventilatoren statt einer Heizung gibt, wird vorsichtiger. Und wenn man weiß, wie unerbittlich sich nachts um die noch schnell erworbene, aber für zwei Personen doch etwas zu kleine Fleecedecke gekabbelt werden kann, geht man auf Nummer sicher.

Den Kofferraum vollgepackt mit warmen Sachen und voller Vorfreude machten wir uns auf den Weg in den hohen Norden – zu unserem mehrmonatigen Segelabenteuer im Nordpolarmeer – ähhh... ich meine zu unserem Segelwochenende vor Breege auf Rügen, genauer gesagt zu einem Skippertraining mit Segelabenteurer Jörg Jonscher.

Das Thema: An- und Ablegen und wieder An- und wieder Ablegen und wieder An- und … ihr wisst schon. Und das Ganze gleich 4 Tage lang! Aber, wem sage ich das, Hafenmanöver können auch zu echten Abenteuern werden.  Es gibt so viele Überraschungen und Unwegsamkeiten, die in einem unbekannten Hafen lauern. Wer nimmt sich denn die Zeit, fremde Häfen so richtig kennen zu lernen?  Kaum hat man es mehr oder weniger gut an den Steg geschafft, ist man ja auch schon wieder weg. Da wir schon wussten, dass es kein einfaches Unterfangen sein wird, waren wir sehr froh, unsere tollen SpYC- Kollegen Harald Libuda und Roland Przybilla mit an Bord zu haben.

Ganz unterschwellig könnte es auch noch einen anderen Grund gegeben haben, uns für das Training anzumelden. Wer kennt es nicht, wenn man sich dem Heimathafen in der Scharfen Lanke so langsam nähert, kann man bei gutem Wetter schon von Weitem ein Stühlerücken wahrnehmen, Gespräche verstummen, Köpfe drehen sich aufgeregt immer wieder, um Ausschau zu halten… Gleich, ja gleich sollte es losgehen mit dem Hafenkino!

Übung macht den Meister, dachten wir uns. Und wenn jemand wissen sollte, wie man elegant und präzise anlegt, dann Jörg Jonscher, der über jahrzehntelange Segelerfahrung verfügt und sein Boot schon in rauer See und an den Felsen einsamer Inseln sicher festgemacht hat.

Ein eisiger Wind und Kälte begrüßten uns in Breege, wie könnte es anders sein im Oktober. Nachdem wir im kleinen Inselsupermarkt Proviant für die Crew eingekauft und alles verstaut hatten, fielen wir nur noch ins eiskalte Bett.

Erkenntnisse nach 12 Stunden: 

Verdammt, vier zusätzliche Fleecedecken sind super, auch wenn es auf deutschen Schiffen richtige Bettdecken, extra Fleecedecken und zumindest für kurze Zeit auch Heizung gibt.

Wahnsinn, welchen Stauraum eine alte Bavaria 42 hat; einen ganzen Kofferraum in einer Kajüte, kein Problem.

Es gibt Skipper, die machen gern Frühstück für einen … Wahnsinn!

Unser Training begann am nächsten Tag, noch nicht mit An- und Ablegen, sondern mit Manövrieren. Vorwärts, rückwärts, ein Kreis rechts herum im Hafenbecken, ein Kreis links herum, aufstoppen und das ganze wieder von vorne.

Erste Lektion: Du brauchst nicht zu hoffen, dass du dein Boot elegant einparken kannst, wenn du es nicht kennst und es dreimal so groß ist wie das, was du gewohnt bist. Also lerne bei einem neuen Boot erstmal das Manövrierverhalten von deinem Schiff kennen!

Dann waren endlich die Hafenmanöver dran. Wir übten das Schiff im engen Hafenbecken aus jeder erdenklichen Himmelsrichtung an die Pier und die Box zu kriegen und wieder abzulegen. Nebenbei konnten wir den SSS-Kurs beobachten – das sah nicht viel anders aus als bei uns ;)

Zweite Lektion: So elegant wie möglich und so unelegant wie nötig. Du musst nicht zwischen den Dalben in deine Lücke schweben. Anlegen muss nicht perfekt sein, nutze deine Fender und lasse es ruhig angehen. Ein zweiter oder dritter Anlauf ist auch in Ordnung.

Unsere Erkenntnisse des zweiten Tages:

Rückwärtsfahren ist oft sinnvoller als man denkt.

Plane dein Manöver. Arbeite beim Anlegen niemals gegen Wind und Welle; nimm immer den kürzesten Weg durch den Wind, ob rückwärts oder vorwärts, sagt dir der Wind.

Die Macht der Leinen, einmal richtig eingedampft, kann fast nichts mehr schiefgehen.

Eine Mittelklampe ist Gold wert.

Passe auf Rillen an Stegen auf, damit du beim Ablegen den Steg nicht mitnimmst oder doch unfreiwillig länger bleibst.

Doch was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten, die Leinen und Stege des Breeger Hafens sollten nicht die einzigen Gegner in diesem Segelabenteuer oder besser Hafenabenteuer bleiben. Am dritten Tag kam alles ganz anders als gedacht. Wir sollten das Hafengebiet verlassen... Was war passiert? Hatten wir zu schlecht angelegt? Wurde der Hafenmeister beim Auswerfen der Leine ins Wasser gezogen und wir hatten es nicht bemerkt? Was man sich hätte denken können, ein Segelabenteurer wie Jörg ist eben kein typischer Segellehrer, dem das Hafenbecken sein liebstes Stück Wasser ist – und so sollten wir doch noch die Segel hissen. 

Wagemutig begaben wir uns in die unbekannten Gewässer des Breeger Boddens. Und hier warteten noch mehr heimtückische Widersacher: Sandbänke, soweit das Auge reicht. Ist das nicht süß, wenn Möwen einen halben Meter von deinem Boot entfernt neben dir im Wasser stehen und zurückgrinsen. Endlich mal segeln mit einer großen Bavaria 42 durch ein Fahrwasser von nur wenigen Metern Breite, mit wenig Spielraum links und rechts. Im Hinterkopf hatten wir den guten Rat von Jörg, sich nicht blind auf die Fahrwassertonnen zu verlassen, denn Sandbänke neigen dazu, sich zu verschieben oder Bojen sind nicht mehr unbedingt dort, wo sie sein sollten. Wenn dann noch die eiligen Fähren hinter einem und vor einem auftauchen, wird es für Ortsunkundige richtig knifflig.  Da hat man besser rechtzeitig aufgepasst, wo eine Haltebucht ist und wartet dort, oder man hat wieder umgedreht, um diese schnellstmöglich aufzusuchen.

Unser Vorteil, Jörg kennt das Gebiet und jede Sandbank wie seine Westentasche. Und so legten wir an einer nur wenig besiedelten Insel an – Hiddensee im Oktober: Ein sehr entspannter Ort zum Verweilen, wenn kaum noch Touristen dort sind. An einigen Ecken kleine verwunschene Galerien, ein echte Künstlerinsel eben. Sofort entwickle ich Aussteigerpläne mir, als Künstlerin hier auf der idyllischen Insel ein Leben fernab des Berliner Trubels aufzubauen. Mein zeichnerisches Talent würde sich hier sicher noch entwickeln, obwohl, so eine wilde Skulptur aus Tonscherben würde ich sicher auch hinbekommen... Na ja, stattdessen holte ich Lebensmittel im Dorfsupermarkt für die Crew.

Erkenntnisse nach Tag 3: 

Routenplanung ist alles.

Sandbänke sind dein Endgegner – Lies die analoge Seekarte genau und lass deinen Tiefenmesser nicht aus den Augen!

Lass den Verkehrsfunk an – Wasserstände im Flachwasser sind von entscheidender Bedeutung, wenn dein Boot kein Gleiter ist.

Fähren geben dir den nötigen Nervenkitzel. Den Fährfahrplan zu googeln ist übrigens keine schlechte Idee.

So viel sei gesagt, wären Mattes und ich alleine das Gebiet abgesegelt, wäre es durchaus denkbar gewesen, dass wir das Wochenende auf einer Sandbank verbracht hätten. Im Sommer, wenn die Inseln von Touristen überströmt werden, wäre das vielleicht gar keine so schlechte Idee.

Bereit zum Ablegemanöver? Hiddensee sollte nicht unser einziges Ziel bleiben und so machten wir uns auf nach Wiek. 

Niemand von uns hat die Nebelwand kommen sehen und wir versuchten so schnell wie möglich einen rettenden Hafen zu erreichen, wie es jetzt in einem Buch der großen Segler geheißen hätte. Aber mit der Reviererfahrung von Jörg und mit dem Wetterbericht auf seinem Smartphone wussten wir natürlich genau, was da auf uns zukommt. Dann eben An- und Ablegemanöver bei Nebel üben.

Eine weitere wunderbare Gruppenbeschäftigung für neblige Häfen: Leinen um Poller werfen – die richtige Lasso-Technik will gelernt sein. Beim Anlegen ist die Macht des treffsicheren Werfens nicht zu unterschätzen. Wer aus dem Verein wohl der Beste wäre? Vielleicht hat das Potential für eine Club-Meisterschaft?

Und dann holten wir doch noch die Sturmfock raus… Zugegeben, wir waren immer noch im Wieker Hafen. Aber wenn die Sichtweite nur wenige Meter beträgt, muss der Lehrplan eben angepasst werden und wir schauten uns an, wie die, im Seglerjargon als Handtuch bezeichnete – Sturmfock, zu setzen ist.

Auch das zu dieser Zeit ausgestorbene Wiek ist ein Besuch wert, wenn man mal einen typischen, etwas grummeligen Originalinsulaner treffen möchte. Da wird man bei der Nachfrage, ob es im Restaurant noch einen freien Platz gibt, nicht freundlich hineingebeten, sondern empört abgewiesen: Wie konnten wir es nur wagen, zu fragen? Total unangebracht! Wir waren bestimmt der 19.798te Tourist, der in dieser Saison nach einem Tisch gefragt hat. Vielleicht hätten wir im Frühjahr bessere Chancen.

Erkenntnisse von Tag 4:

Achte auf die Tonnen im Fahrwasser und nicht auf den Plotter!  Der stimmt leider nicht immer.

Vertraue bei Nebel lieber dem Radargerät, um eine Hafeneinfahrt zu finden, anstatt dem Plotter. Plotter nehmen es nicht immer so genau.

Wenn das Radar angeschaltet ist, den Kopf niemals in den Strahlradius bringen. Nur arbeiten am Vordeck ausführen, wenn man sich eh schon zu schlau für diese Welt hält und das Gehirn zum Kochen bringen will.

Jörg ist ein Meister im Geschichten erzählen. Die Abende an Bord sind wie kleine Kaminabende, oder sollte ich besser Heizlüfterabende sagen. Wir saßen alle versammelt in der Kajüte und lauschten Jörgs Abenteuern, als ob wir uns schon lange kennen würden. Er ist eben mehr als ein reiner Segellehrer.

Zurück in Breege haben wir noch ein „wildes“ Experiment gestartet. Nur mit Leinen, ohne Motor, in eine Box kommen? Bei 3 Windstärken haben wir es gewagt. Nach 4 Tagen Training fühlten wir uns der Aufgabe gewachsen. Siehe da, mit genügend langen Leinen und etwas Teamarbeit, hat es gut funktioniert.  

Würden wir ein An- und Ablegetraining im Oktober wieder machen? Auf jeden Fall! Wenn man mit einem außergewöhnlichen Segellehrer und einer großartigen SpYC-Crew unterwegs ist, ist das eine tolle Erfahrung, die man nicht so schnell vergessen wird! Nächste Saison könnt ihr ja beobachten, was wir alles gelernt haben! ;)